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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich überwiegend auf die gleichzeitige Verwendung  männlicher und weiblicher Schreibformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.



 

 

Tiere erleichtern zwischenmenschliche Kontakte, und sind somit soziale Katalysatoren

 

 

 

 

Modellversuch Therapiehund
Konzeption für eine psychiatrische Akutstation des ZfP Weissenau (2003)
von Klaus Koch, Christine Süß und Ingo Asshauer

1. Einleitung:

Die Therapie mit Tieren wird erst seit Anfang der 60er Jahre wissenschaftlich erforscht. Sehr viel früher jedoch wurden Tiere herangezogen, um die Gesundheit von Menschen positiv zu beeinflussen. Schon im 8. Jahrhundert wurden in Gheel (Belgien) Tiere zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. 1792 gründete der Quäker Tuke den „York Retreat“ in England. Es handelte sich um eine Einrichtung für Geisteskranke, welche die „strafähnlichen Methoden des Umgangs mit Geisteskranken“ zu korrigieren versuchte. Die Insassen der Einrichtung bekamen die Möglichkeit, Gärten zu pflegen und kleine Tiere zu halten. Auch in Deutschland reichen die Wurzeln des therapeutischen Einsatzes von Tieren bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Schon bei der Gründung von Bethel in Bielefeld, einem Behandlungszentrum für Epileptiker, spielten Tiere eine bedeutende Rolle. In den 80er Jahren umfasste das therapeutische Angebot der bis zu 5000 Patienten aufnehmenden Einrichtung die Reittherapie, den Einsatz von Hunden, Vögel und Katzen.

Heutzutage werden in etwa 140 deutschen Krankenhäusern unterschiedlichster Form Tiere auf Krankenstationen geduldet oder als Therapeuten eingesetzt. Während in England und Amerika schon recht fortschrittliche Entwicklungen auf diesem Gebiet stattgefunden haben – allein in den USA gibt es über 8000 registrierte Therapiehunde - verhindern bei uns in Deutschland jedoch strenge Krankenhausverordnungen die Haltung von Tieren auf Stationen.

Exemplarisch seien zwei Krankenhäuser Deutschlands genannt, in denen Tiere gezielt für den Genesungsprozess einbezogen werden: die Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Erlangen und das antroposophische Gemeinschafts-krankenhaus in Witten Herdecke. In Erlangen sorgen Hunde und Katzen für ein ausgeglichenes Klima auf einer gerontopsychiatrischen Station; Schafe werden auf der klinikeigenen Wiese von gehfähigen Patienten gehütet und gepflegt. In Herdecke kommen Pferde bei schwerstkranken Kindern mit chronischen oder malignen Erkrankungen therapeutisch zum Einsatz.

Die Medien berichten mit wachsendem Interesse über den „heilpraktischen“ Einsatz von Tieren in der Medizin. Forschungen belegen den unbestritten Wert beispielsweise der Hippotherapie insbesondere bei Spastik in Folge frühkindlicher Hirnschädigung, Schädelhirntraumata, MS und andere ZNS-Erkrankungen. Untersuchungen und Beobachtungen über den Einsatz von Hunden, Katzen, Hängebauchschweinen oder gar Lamas liegen zum Teil in großer Zahl vor. Enthusiastische Berichte über die überlegene therapeutische Wirkung von Delfinen wurden kürzlich kritisch bewertet und gegenüber der Hippotherapie zurückdimensioniert.


2. Erste Schritte zur Tier gestützten Therapie

Ausschlag für unsere Überlegungen für den Einsatz einer “Tier gestützten Therapie“ auf unserer Sektoraufnahmestation bot die Beobachtung einer schwerst erkrankten Borderline-Patientin im Jahre 2001, die über Monate aufgrund massiver therapierefraktärer Suizidalität nahezu durchgängig pflegerischer Einzelbetreuung und regelmäßigen Zwangsmaßnahmen unterzogen werden musste. Während die Patientin in ihrem fast autistischen Kontaktverhalten durch regelmäßige, intensive Einzelgespräche weitgehend unerreichbar blieb, zeigte sie sich im Umgang mit einer sporadisch auf Station erscheinenden Katze ungewöhnlich fürsorglich, zärtlich, emotional aufgehellt und wesentlich geneigter im Kontakt zu Mitpatienten.

Dadurch immer wieder angeregte Diskussionen unter den Mitarbeitern der Station beschäftigten sich zunächst mit dem Einsatz von Katzen und Hasen, ferner auch Meerschweinchen und Vögeln. Da die genannten Arten jedoch die erhöhte Gefahr einer Krankheitsübertragung und der Auslösung allergischer Reaktionen bergen, verdichteten sich die Gedanken schließlich auf die Anschaffung eines Hundes.

Eine gezielte Internetrecherche im Herbst 2001durch den stellvertretenden pflegerischen Stationsleiter förderte interessante Berichte aus den USA, der Schweiz und Deutschland über den Einsatz von Hunden in der Gerontopsychiatrie und auf Kinderstationen zutage. Auf Anfrage bei der Abteilungsleitung wurde uns die Genehmigung erteilt, probehalber den Hund des Abteilungsleiters auf Station zu beherbergen. Das Ergebnis war überraschend: Bisher schwer antriebsgestörte Patienten begehrten unaufgefordert Ausgang für einen Spaziergang, es begann ein regelrechter Wettlauf um das Tier, ausnahmslos wünschte jeder, ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen, sei es zum Spielen, zum Streicheln, zum schweigsamen miteinander Sitzen oder gar zum einseitigen „Gespräch“. Dabei erwies sich der Hund problemlos in der Lage, schnell und ohne große Scheu, eine emotionale Bindung mit sehr vielen, ganz unterschiedlichen Menschen einzugehen. Zudem bemerkten wir, das die Gesprächsthemen der Patienten untereinander die Richtung wechselten, hin zu einem entspannten Austausch mit jetzigen oder früheren Erfahrungen im Umgang mit Tieren.

Auf die Bitte der Verwaltung, den Versuch einzustellen, reagierte die Mehrzahl der damals 22 Patienten der Station mit Empörung, einige gar mit regelrechter Trauer, andere mit Wut.


3. Entwicklung und Umsetzung des Projektes

Unter Vorlage einer von der Pflegeleitung ausgearbeiteten vorläufigen Konzeption und Schilderung der bisherigen Erfahrung gelang es, von Abteilungsleitung und Verwaltung grünes Licht für einen zunächst auf drei Jahre begrenzten Modellversuch zu bekommen. Die Konzeption wurde anhand von Internetrecherchen, Beiträgen der Fachtagung „Tiere in der Therapie“ in Wilhelmsdorf und Beratungen mit Mitarbeitern der Steinfurter-Therapiehund Schule erstellt.

Alle Mitarbeiter der Station waren mit dem Modellversuch ausdrücklich einverstanden und wurden nach eventuellen Allergien oder Phobien auf Hunde befragt. Das Krankenhaus übernahm den Kauf, Impfungen, Versicherung und sonstige Kosten im Zusammenhand mit dem Hund. Schließlich wurde ein Hund nach langwieriger Suche, sorgsamer Befragung des Vorbesitzers und eingehender Prüfung auf vorbestimmte charakterliche Kriterien im Tierheim Konstanz erstanden, so dass Rüde „Bonzo“, ein sanft-verspielter Appenzeller/BernerSenn-Mischling, Anfang November 2002 nun seinen Dienst auf unsere Akutaufnahmestation beginnen konnte.

Der Hund wurde nach dem Erwerb zunächst für zwei Wochen an die private Umgebung der beiden pflegerischen Stationsleitungen gewöhnt und anschließend über einen längeren Zeitraum schrittweise für eine bis maximal vier Stunden – auch über Nacht - mit auf Station genommen bis eine erkennbare Gewöhnung an die spezifische Atmosphäre der Aufnahmestation eintrat. Das Fressen wurde ausschließlich von den genannten Bezugspersonen gegeben. Diese bestimmten auch, welcher Patient, zu welcher Zeit den Hund im Gelände des ZfP Weissenau ausführen durfte. Mitarbeiter, die Angst vor dem Hund äußerten, konnten in Gesprächen für eine höhere Akzeptanz gewonnen werden. Es zeigte sich, dass auch diese Kollegen nach einer Phase der behutsamen Gewöhnung ihre Scheu verloren und allmählich einen angstfreien Bezug zum Hund entwickelten. Bedenken des Reinigungsdienstes über eine höhere Verschmutzung der Station und Gefährdung der Hygiene konnten durch sachliche Argumentation und schließlich durch Evidenz ausgeräumt werden. Auf Geheiß der Verwaltung wurde an der Stationstüre ein Hinweisschild angebracht, dass auf die Anwesenheit eines Hundes aufmerksam macht. Fress- und Ruheplatz wurden im Aufenthaltraum des Teams eingerichtet.

Es wurde ferner beschlossen, interne Umgangs- und Verhaltensregeln dynamisch in Abhängigkeit von den charakterlichen Eigenschaften des Hundes zu entwickeln und die vorliegend Konzeption in regelmäßigen Abständen des realen Anforderungen und Beobachtungen anzupassen.
Mit der CeBe Hygienemanagement GmbH wurde vereinbart, dass regelmäßige Besuche stattfinden, um die Einhaltung der geforderten hygienischen und veterinärmedizinischen Bedingungen sowie die artgerechte Haltung des Tieres zu kontrollieren.


4. Ziele der Tier gestützten Therapie:

-Tiere erlauben Sinnlichkeit, man darf sie anfassen, streicheln, liebkosen, in den Arm nehmen. Bedürfnis nach Zärtlichkeit kann gestillt werden
- Tiere sind Gesprächspartner, lassen sich ungefragt ansprechen. Es „versteht“, fühlt Stimmungen, „hört geduldig und teilnahmevoll zu“, gibt keine Widerrede.
-Tiere zeigen Nachsicht, werten und entwerten nicht, erwarten kein gutes Benehmen, keine passende Garderobe, keine Glanzleistungen, keine physische Attraktivität. Sie nehmen Langsamkeit und Ungeschicklichkeit hin.
-Tiere helfen gegen Langeweile. Bringen Menschen dazu, wieder aufzustehen, sich um etwas zu kümmern.
-Tiere regen zur Erinnerungen an starke Gefühle aus glücklichen Tagen an und können das weitere Absinken in Hilflosigkeit und Vergessen verzögern.
-Förderung von Gemeinsamkeiten zwischen den Patienten.
-Förderung, Aufrechterhaltung und Verstärkung sozialer, verbaler und nonverbaler Kontakte.
-Förderung emotionaler Stabilisierung.
-Ablenkung von eigenen Sorgen und Krankheit.
-Motivation zu Bewegung.
-Erleben von Zuneigung, Zärtlichkeit und Fürsorge, dadurch
-Unterstützung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.
-Anregung kognitiver Fähigkeiten (Sprache, Erinnerungs- und Biographie-arbeit, Merkfähigkeit).
-Verbesserung der Wahrnehmung in allen Qualitäten.
-Förderung der Reaktionsfähigkeit.
-Bahnung von kooperativem Verhalten.
-Eingestehen und Überwinden von Ängsten.


5. Anforderungen an den Hund:

An den Therapiehund werden hohe Anforderungen gestellt:
- Ein Therapiehund sollte anders reagieren als ein normaler Hund und sollte nicht auf Verteidigung geschult sein.
- Hohe Reizschwelle und Stressfähigkeit, um auf alle einströmenden Reize gelassen reagieren zu können.
- Sollte auf nonverbale Gesten erzogen werden und aufs Wort gehorchen
- Sollte sich auch gegen Fellrichtung streicheln lassen.
- Keine Handscheue, da er von vielen Menschen - auch unerwartet und heftig - angefasst wird.
- Kinderfreundlichkeit
- Sollte nicht gerne bellen, nicht zu viel schlafen, nicht hyperaktiv sein.
- Friedfertigkeit gegenüber anderen Hunden.
- Am besten schon gute Erziehung
- Sollte Zuwendung von sich aus einfordern und genießen können.


6. Anforderungen an die Halter:

- Mindestens zwei verantwortliche Bezugspersonen müssen bestimmt werden, bei denen sich der Hund dauerhaft, also auch privat, aufhält.
- Die Anwesenheit einer Bezugsperson muss durchgängig garantiert sein.
- Besuch einer Hundeschule von mindestens zwei Mitarbeitern.
- Durchführung eines Wesenstests alle drei bis vier Jahre.
- Gewährleistung eines vierteljährlichen Gesundheitschecks.
- Gewährleistung einer vierteljährlichen Entwurmung.
- Regelmäßige Untersuchung auf Parasiten (Flöhe, Zecken etc.)
- Regelmäßige Fellpflege
- Artgerechte Haltung tags und nachts,
- Sicherstellung von Freilaufmöglichkeit, z.B. Garten und für Vorrichtung für Notdurft.
- Regelmäßige Säuberung des Hundeplatzes und Fressnapfes (Fütterung nicht im Dienstzimmer oder Stationsküche)
- Abtrocknung und Säuberung bei Schnee und Regen vor Betreten der Station
- Abklärung und Sicherstellung der Kostenübernahme (Tierarzt, Steuer und Versicherung).
- Sicherstellung einer Haftpflichtversicherung

(Krankenhaushygienische Anforderungen durch CeBe Hygienemanagement GmbH Peißenberg)


7. Risikoabschätzung für Infektionen:

Sogenannte Anthrozoonosen, also von Wirbeltiere auf den Menschen übergehende Krankheiten, sind in der Bundesrepublik relativ selten (z.B. Listeriose, Brucellose, Anthrax, Pasteurella, Toxoplasmose). Die Tollwut spielt bei durchgeimpften „zivilisierten“ Tieren keine Rolle mehr. Auch gesunde Tiere können Überträger von Darmerkrankungen wie Salmonellen, hämorrhagische Escherichia coli oder Campylobacter sein. Ornithoseerreger sind heute sehr selten und durch entsprechende Antibiotika gut heilbar.

Bei normalem Kontakt mit Tieren, also Streicheln und Kraulen, ist eine Übertragung derartiger Infektionen durch gesunde Tiere eigentlich nicht zu erwarten. In aller Regel beladen sich gesunde Tiere mit Keimen (Fell, Pfoten), die auch in der menschlichen Umwelt alltäglich sind und gegen die längst eine ausreichende körpereigene Abwehr besteht. Nicht artgerechter Umgang mit Tieren - „auf die Schnauze küssen“ – erhöht selbstverständlich das Risiko für eine Infektionsübertragung.

Kontraindikationen für die Anwesenheit eines Tieres auf Station sind:
Allergien, immunsupprimierende und konsumierende Erkrankungen (wie etwa eine Lungenentzündung, schwerer nicht eingestellter Diabetes mellitus, Malignom), akute schwere Infektionen. Bei schweren Krebserkrankungen im Endstadium mit absehbarem Todeszeitpunkt sollte nach Prüfung im Einzelfall trotz Infektionsrisiko die Anwesenheit eines Tieres erlaubt ein.

Laut einer Untersuchung der Tierärztlichen Fakultäten in Gießen und München, stellen Hunde verglichen mit menschlichen Besuchern, keine erhöhte hygienische Gefahr für den Patienten dar. Einem Bericht des ärztlichen Direktors des Klinikums Erlangen, Prof H.K. Schneider, zufolge gab in den zehn Jahren, in denen Tiere als therapeutische Begleiter im Klinikum eingesetzt wurden, weder ein Problem mit der Hygiene noch eine Ansteckung eines Patienten oder eines Mitarbeiters durch ein Tier.


8. Erste Erfahrungen mit Therapiehund „Bonzo“:

Die Entwicklungen und therapeutische Auswirkungen des Hundes werden kontinuierlich und lückenlos in einem Tagebuch durch die pflegerische Stationsleitung oder zwei Vertreter dokumentiert. Die bisherigen Eintragungen decken einen Zeitraum von drei Monaten ab.

Hervorzuheben ist zunächst die überragende, das gesamte Team überspannende Hingabe und Motivation bei der Durchführung des Modellversuches. Bonzo erweist sich beim jetzigen Stand der Dinge als glücklicher Griff. Unvoreingenommen und ohne Scheu vermochte er sich von Anbeginn den Patienten zu nähern. Schon nach wenigen Tagen hatte sich der Hund auch mit den räumlichen Strukturen der Station und des Geländes vertaut gemacht. Schon bald entwickelte er gewisse Eingangsrituale beim Betreten der Station, suchte nach einer bestimmten Reihenfolge unterschiedliche Räume der Station auf. Nach wenigen Wochen entschied sich Bonzo für das Büro seiner Bezugspersonen als Ruhe- und Rückzugsort. Allmählich gewöhnte er sich an immer längere Auszeiten, ohne die oft nicht zu vermeidende Isolation und Trennung von seiner jeweiligen Bezugsperson mit Jaulen und Bellen zu quittieren. Große Freude zeigte er insbesondere beim morgendlichen Wecken der Patienten, wobei er schon recht früh seine Fähigkeit erkennen ließ, Stimmungen sowohl beim Personal, als auch bei den Patienten wahrzunehmen. So begegnet Bonzo bei Anspannung des Personals, z.B. in Phasen hohen Aufnahmedruckes mit Unruhe und einer mitunter störenden Neigung, Ankommende mit Bellen zu begrüßen. In kritischen Situationen, wie aggressiven Durchbrüchen antriebsgesteigerter Patienten reagierte er aufmerksam beobachtend, jedoch ohne erkennbaren Stress und überraschend ruhig.

Schon nach vier Wochen zeigte sich der Hund selbstsicher und positiv adaptiert an die baulichen Besonderheiten (z.B. glatter Boden) sowie die wechselnden atmosphärischen Zustände der Station. Bonzo erwies sich zudem als außergewöhnlich gehorsam, nicht nur in Bezug auf seine Betreuer, sondern auch im Umgang mit den Patienten. Der immer noch etwas verspielte Hund gehorchte auch während der Spaziergänge bei Begegnungen mit anderen Hunden zumeist aufs Wort. Die Neigung zu Bellen und Kläffen ist über den genannten Beobachtungszeitraum von drei Monaten deutlich rückläufig, so dass auch weiterhin eine Besserung des sich ohnehin schon auf akzeptablen Niveau befindlichen natürlichen Verhaltenszuges zu erwarten ist.

Resümierend ergaben sich – wohl nicht zu letzt aufgrund der sorgfältigen charakterlichen Auslese – mit Bonzo keine grundlegenden Schwierigkeiten bei der Gewöhnung an und im Verhalten auf Station, die einen Abbruch des Versuches gerechtfertigt hätten. Im Gegenteil verleiten die bisherigen Beobachtungen zu einer vorläufig sehr positiven Bewertung der charakterlichen Eigenschaften des Hundes.

Bezüglich der Wirkung des Hundes auf unsere Stationsklientel kann vorausgenommen werden, dass unerwünschte Ereignisse oder Wirkungen grundsätzlich ausblieben. Der ganz überwiegende Teil unserer Patienten bewertete die Anwesenheit des Therapiehundes als Bereicherung der allgemeinen Stationsatmosphäre und als komplementäres Therapieangebot. Ein geringer Teil der Klientel nahm demgegenüber eine allenfalls indifferente Haltung gegenüber Bonzo ein, akzeptierte folglich seine Präsenz ohne sich in nachvollziehbarer Weise mit Bonzo auseinander zu setzten. Nur ein einziger, schwerst Kontakt gestörter, chronisch schizophrener und narzistisch akzentuierter Patient reagierte initial auf die allgemeine Begeisterung und Zuwendung seiner Mitpatienten mit augenfälliger Eifersucht und offener Ablehnung des Hundes. Aber auch ihm gelang nach kurzer Zeit, ein gewisses Interesse und gar Fürsorglichkeit für das Tier zu entwickeln.

Besonders bei unseren chronisch Schizophrenen bewirkte die unvoreingenommene Zutraulichkeit des Hundes eine zeitweilig überraschende affektive Aufhellung und Modulation des Antriebsniveaus. Wir beobachteten immer wieder Patienten, die mit dem dankenswert schweigsamen Hund Gespräche führten, über ihre Kindheit und ihre Wahnvorstellungen berichteten, und sich über die so bewirkte Ablenkung von der produktiven Symptomatik dankbar äußerten.

Willig und bisweilen sogar offensichtlich genießend ließ sich B. von schizophrenen Patienten mit ausgeprägtem Nähe/Distanzproblem umarmen. Das morgendliche Wecken in Begleitung des Hundes wirkte sich günstig bei ansonsten das Pflegepersonal ignorierenden, antriebsgestörten Patienten aus, die bereitwilliger ihr Bett verließen. Patienten bildeten kleinen Gruppen für gemeinsam Ausgänge, die anschließend Gesprächsstoff in der Patientenrunde lieferten. Mehrfach beobachteten wir, wie der Kontakt zum Hund zur Deeskalation aggressiver Spannungszustände beitragen konnte, indem wir dem Patienten die Möglichkeit boten, sich mit ihm ins sogenannte „weiche Zimmer“ zurückzuziehen.

Ein Patient, der die Eingangstür einzutreten drohte, wirkt durch diese Maßnahme erstaunlich schnell entspannter und bereit, den verweigerten Ausgang auch unter Verzicht auf Gewalt zu akzeptieren. Zu Aggression und Angst neigende Neuzugänge nahmen die Anwesenheit des sanftmütigen Hundes ausdrücklich positiv auf und konnten entspannter die Aufnahmeprozeduren über sich ergehen lassen. Bei einer zwangsgestörten Patientin führte die Beschäftigung mit dem Hund zu einer subjektiv spürbaren Verbesserung der Zwangsgedanken und einer objektiven Minderung aggressiv gefärbter Zwangshandlungen. Besonders bei Patienten mit ausgeprägter Selbstwertproblematik bewirkte die Auseinandersetzung mit dem Hund zu einer vorübergehenden Aufwertung des Selbstgefühls, sei es, weil das Tier – Objekt globaler Zuwendung – zwanglos beim betroffenen Patienten verweilte und sich auf dessen Nähe einließ, sei es, weil der Patient erneut Neigungen der Fürsorglichkeit und Bereitschaft zu Verantwortung an sich beobachten konnte.

Angehörige reagierten mitunter mit Argwohn auf die Präsenz des Hundes. Regelhaft gelang es jedoch, auch bei diesen durch eine Erläuterung des komplementären Behandlungskonzeptes eine positive Akzeptanz zu erreichen.

Zusammenfassend deuten die bisherigen Beobachtungen auf eine positive, das heißt Therapie unterstützende Wirkung des Hundes auf Selbstwertproblematik, Spannungszustände, Aggressionspotential, produktive Symptomatik, Antrieb, Affekt, Sinnstiftung, Deeskalation und Entaktualisierung psychischer Krisen des Patienten hin. Darüber hinaus scheint die Anwesenheit des Hundes nicht nur zu einer Aufwertung des Stationsklimas für die Patienten beizutragen; auch das gesamte Behandlungsteam, einschließlich der Raumpflegekräfte erlebte bis dato den Therapiehund als Bereicherung des Arbeitsmilieus, nicht zuletzt aber auch als unterstützende Kraft zur Verbesserung der Arbeitsqualität und Behandlungseffektivität.

Weitere Beobachtungen in den nächsten Monaten werden zeigen, ob sich die hier geschilderten Tendenzen fortsetzen werden und ob es sich als lohnend erweist, dass spezifisches Behandlungskonzept „tiergestützte Therapie“ für die weitere Zukunft zu entwickeln und zu verfeinern.

Weissenau, 2 / 2003, Dr. Ingo Asshauer,

der mir diesen Bericht zur freien Verfügung überlies
Kontaktadresse: klaus.koch@zfp-weissenau.de

 



Auf den Hund gekommen   oder  10 Jahre Tiergestützte Therapie

am Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg  Standort Weissenau  & Friedrichshafen

Klaus Koch, Christine Süß, Ingo Asshauer

Seit tausenden von Jahren, gehören Tiere zum kulturellen und sozialen Erbe unseres Daseins.  Nicht selten als Arbeitstiere für Feld, Jagd und Hof, wird der  Hunde zunehmend auch als treue Gefährte  und Begleiter, der ihm umgebenden Menschen wahr genommen. Die Identität ganzer Regionen und Gruppen von Menschen, sind oft eng mit dem Tier verbunden. Schon in Felszeichnungen aus der Steinzeit, wird die Bedeutung von Tieren deutlich. Vieles hat sich seit dem in unseren Strukturen erhalten.. Auch heute  findet man z.B. in Wappen  Tiere, die in der Abbildung derselben, Kraft, Ausdauer, Schlauheit oder dem Sinn des Lebens dokumentieren sollen.

Die Therapie mit Tieren wird erst seit Anfang der 60er Jahre, des letzten Jahrhunderts systematisch und  wissenschaftlich erforscht. Sehr viel früher wurden Tiere eingesetzt,, um die Gesundheit von Menschen positiv beeinflussen und steuern zu können.. Schon im 8. Jahrhundert wurden in Gheel (Belgien) Tiere zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. 1792 setzte der Quäker Tuke Hunde und andere Tiere ein, um in einer Einrichtung für Geisteskranke, die „strafähnlichen Methoden des Umgangs mit Geisteskranken“ zu korrigieren versuchte. Die Insassen der Einrichtung bekamen die Möglichkeit, Gärten zu pflegen, und zumindest kleine Tiere zu halten.

Auch in Deutschland reichen die dokumentierten Wurzeln des therapeutischen Einsatzes von Tieren bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Schon bei der Gründung von Bethel/ Bielefeld, einem Behandlungszentrum für Epileptiker, spielten Tiere eine bedeutende Rolle. In den 80er Jahren umfasste das therapeutische Angebot der bis zu 5000 Patienten aufnehmenden Einrichtung  Reittherapie, und den Einsatz von Hunden, Vögel und Katzen.

Heutzutage werden in weit über 160 deutschen Krankenhäusern unterschiedlichster Form,  Tiere auf Krankenstationen geduldet und/oder als Therapeuten eingesetzt. Während in England und Amerika schon recht fortschrittliche Entwicklungen auf diesem Gebiet stattgefunden haben – allein in den USA gibt es über 8000 registrierte Therapiehunde - verhindern bei uns oft strenge und nicht immer nachvollziehbare  Krankenhausverordnungen die Haltung von Tieren auf Stationen.

Ausschlag  unserer Überlegungen, “Tiergestützte  Therapie“ auf unserer Aufnahmestation anzubieten,  bot die Beobachtung einer schwerst erkrankten Borderline-Patientin im Jahre 2001, die über Monate aufgrund massiver  therapierefraktärer Suizidalität nahezu durchgängig pflegerischer Einzelbetreuung, und regelmäßigen Zwangsmaßnahmen unterzogen werden musste. Während die Patientin in ihrem fast autistischen Kontaktverhalten durch regelmäßige, intensive Einzelgespräche weitgehend unerreichbar blieb, zeigte sie sich im Umgang mit einer zuerst eingeschmuggelten Katze ungewöhnlich fürsorglich, zärtlich, emotional aufgehellt, und wesentlich geneigter im Kontakt zu Mitpatienten und Umfeld.

Auf Anfrage bei der Abteilungsleitung wurde die Genehmigung erteilt, probehalber den Hund des damaligen Abteilungsleiters Prof. Dr. Schmidt-Michel auf Station zu beherbergen. Das Ergebnis war überraschend: Bisher schwer antriebsgestörte Patienten begehrten unaufgefordert Ausgang für einen Spaziergang, es begann ein regelrechter Wettlauf um das Tier, ausnahmslos wünschte n viele unserer damaligen Patienten, ein wenig Zeit mit Max zu verbringen, sei es zum Spielen, zum Streicheln, zum schweigsamen miteinander Sitzen oder gar zum einseitigen „Gespräch“. Manchmal handelte es sich hier auch um Patienten, die eigentlich Angstgefühle vor Tieren, und im speziellen vor Hunden hatten.  

Max war hierbei  problemlos in der Lage, schnell und ohne große Scheu, eine emotionale Bindung mit sehr vielen, ganz unterschiedlichen Menschen einzugehen. Zudem bemerkten wir, dass alte Verankerungen gelöst und zum Vorschein gebracht wurden, die Gesprächsthemen der Patienten untereinander wechselten die Richtung, bis hin zu einem entspannten Austausch ehemaliger und aktueller Erlebnisse mit Tieren.

Nach der Erstellung einer Konzeption, der Fürsprache der Abteilungsleitung und der ärztlichen Direktion gab letztendlich die Verwaltung grünes Licht. Ein Projekt – damals auf drei Jahre angelegt konnte beginnen. Die Konzeption für dieses neue Projekt wurde anhand von Internetrecherchen, Beiträgen von Fachtagungen, und Beratungen mit Mitarbeitern verschiedener Stellen, die bis dato schon Tiere beim Menschen einsetzten erstellt.

Das Krankenhaus übernahm den Kauf, Impfungen, Versicherung und sonstige Kosten im Zusammenhand mit dem Hund. Schließlich wurde ein Hund nach langwieriger Suche, sorgsamer Befragung des Vorbesitzers und eingehender Prüfung auf vorbestimmte charakterliche Kriterien im Tierheim Konstanz entdeckt und erstanden. „Bonzo“, ein sanft-verspielter Appenzeller/Berner Senn-Mischling eroberte im November  2002 unsere damalige  Akutaufnahmestation im Krankenhaus Weissenau.

Als Bezugsperson erhielt Bonzo von mir und einem weiteren Kollegen, seine Mahlzeiten, wir  bestimmten auch, welcher Patient, zu welcher Zeit den Hund im Gelände des ZfP Weissenau ausführen durfte. Mitarbeiter, die  Angst vor dem Hund äußerten, konnten in Gesprächen für eine höhere  Akzeptanz gewonnen werden. Es zeigte sich, dass auch diese Kollegen nach einer Phase der behutsamen Gewöhnung ihre Scheu verloren,  und allmählich einen angstfreien Bezug zum Hund aufbauen und entwickeln konnten. Bedenken des Reinigungsdienstes über eine höhere Verschmutzung der Station,  und einer damit verbundenen Gefährdung der Hygiene konnten durch sachliche Argumentation, wissenschaftlichen Abhandlungen, und schließlich durch Ausprobieren ausgeräumt werden. Auf Geheiß der Verwaltung wurde an der Stationstüre ein Hinweisschild angebracht, dass auf die Anwesenheit eines Hundes aufmerksam macht.

Es wurde ferner beschlossen, interne Umgangs- und Verhaltensregeln dynamisch in Abhängigkeit von den charakterlichen Eigenschaften des Hundes zu entwickeln und die vorliegend Konzeption in regelmäßigen Abständen des realen Anforderungen und Beobachtungen anzupassen.

In unserem Haus ist die Tiergestützte Therapie mittlerweile nicht mehr weg zu denken, auf weiteren sieben Stationen gibt es in der Zwischenzeit weitere  tierische  Kollegen, auf einer Heimstation die Katze „Felix“. Immer wieder wird davon berichtet, dass die anwesenden Tiere  eine wesentlich entspanntere  Stationsatmosphäre entstehen lassen. Für Patienten, ist es oft eine Wohltat, einen Hund, oder eine Katze neben sich zu haben, es zu streicheln, zu spüren  oder zu verwöhnen.

Unsere Arbeit basiert immer noch darauf, unterschiedliche Menschen – einen weiteren Bezugspunkt in der Behandlung zu ermöglichen. Viele feuen sich, wenn Bonzo  endlich wieder auf Station erscheint – für kleinere, oder größere Streichel- und Verwöhneinheiten. Darüber hinaus erleben und/oder erlernen  Patienten oft wieder, respektvolles Verhalten zu trainieren, „Nein“-sagen zu können, Verantwortung  auf unterschiedlichen Ebenen zu übernehmen, aktiver zu sein, Wünsche zu äußern, Selbstbewusstsein und sensitive Wahrnehmen zu erspüren, oder auf die direkte Umwelt wieder präsenter zu reagieren. Alles Eigenschaften, die vielleicht auf einen anderen Weg auch zu erreichen wäre, mit Bonzo, Nelly, Nessy oder co, jedoch um ein vieles leichter, und vielleicht auch angenehmer.

Vor ziemlich genau 10 Jahren, im November 2002 hat unser Projekt gestartet – und ein kleiner Rückblick, lässt uns Revue passieren. Bonzo hat es geschafft, ein Projekt erfolgreich werden zu lassen, mittlerweile gibt es nicht nur in unserem Krankenhaus, weitere Hunde, die es ihm mit großem Erfolg gleich tun. Die Geschichten, Erlebnisse, Ereignisse, die  Aufmerksamkeit, aber auch Erfolge machen uns alle ein wenig Stolz, dass wir  uns – trotz teilweise heftigen Gegenwind-  unser Ziel nicht verloren haben,  ein solches Projekt zu starten, und erfolgreich weiter zu führen. In vielen Einrichtungen und Krankenhäusern werden in der Zwischenzeit, nicht nur Hunde auf den Stationen eingesetzt. Ein erfreulicher Zuwachs, nicht nur in deutschen Einrichtungen. Vor kurzem hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit „Tiergestützter Therapie im Krankenhaus“ beschäftigt – wie wir finden, eine erfreuliche Entwicklung.

Uns erreichen im Jahr weiterhin zwischen 30 und 50 Anfragen aus vielen unterschiedlichen Einrichtungen und Ländern. Selbst weit gereist (ich nehme Bonzo in der Regel zu meinen Vorträgen mit), ist er mittlerweile  in die Jahre gekommen. Leichte graue Stellen machen sich bemerkbar, und das eine oder andere kleine  Zipperchen tritt in Erscheinung. Nichts desto trotz, hat er weiterhin seine unbändige Neugierde an Menschen unterschiedlicher Ausrichtung behalten, und wird nach fünf bis sechs Tagen ungeduldig, wenn er nicht zurück in sein Krankenhaus kann – dort angekommen, kontrolliert er zuerst einmal seine Mitarbeiter, Patienten, die Station, und seinen Garten, bevor er sich so hinlegt, dass er nicht übersehen werden, und trotzdem alles überblicken kann.

Wie ging es weiter......  Stand: Januar 2018

Am ersten Advent 2014 ist Bonzo gestorben - hier eine kleine Erinnerung

https://www.youtube.com/watch?v=RR-e4fBNGfM&t=12s&pbjreload=10

Im Januar 2015 habe ich mich dann auf den Weg gemacht, um unsere Konzeption verschiedenen Tierheimen vorzustellen. Nach einem vergeblichen Versuch in einem nahen Tierheim konnte das Konzept wegen zu wenig Personal im Tierheim nicht vorgestellt werden, ein anderes Tierheim hatte derart hohe Regel, das sie selbst nicht ohne weiteres begründen konnte. In Biberach hingegen traf aufgeschlossene Mitarbeiter, die für unser Konzept zu begeistern waren. So kam Anfang 2015 eine echte Biberacherin zu uns.

Nochmals vielen Dank für die Vermittlung von Suse die fast alle Voraussetzungen erfüllt hat  https://www.tierschutzverein-biberach.de/

 

Suse 2016Suse 2016